Wiederbelebung häufig gegen den Patientenwillen

Wenn der Rettungsdienst zu einem Herzstillstand gerufen wird, ist oft unklar, ob eine DNR-Verfügung vorliegt. Angehörige sind da oft keine große Hilfe, da sie sich nicht schnell genug daran erinnern oder trotz DNR-Verfügung selbst eine Wiederbelebung versuchen.

von Thomas Müller
30.04.2024

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© Foto: apsimo1 / iStock
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Das Wichtigste in Kürze

Frage: Wie häufig findet eine Wiederbelebung (CPR) bei außerklinischem Herzstillstand statt, obwohl die Betroffenen eine DNR-Verfügung haben?

Antwort: Einer Analyse von Rettungsdienstprotokollen aus Mittelhessen zufolge liegt bei jeder sechsten Person mit versuchter CPR eine DNR-Verfügung vor, die Dunkelziffer könnte jedoch noch deutlich höher liegen.

Bedeutung: Es wären Maßnahmen nötig, die Rettungskräfte sofort über eine vorhandene DNR-Verfügung informieren.

Einschränkung: Letztlich bleibt unklar, wie viele Personen tatsächlich eine DNR-Verfügung hatten.

Dass Deutschland bei der Digitalisierung ein Entwicklungsland ist, bekommen auch die Rettungsdienste massiv zu spüren. Nicht nur, dass sie vorab wenig über die Patientinnen und Patienten erfahren, zu denen sie gerufen werden, bei einem außerklinischen Herzstillstand wissen sie in der Regel auch nicht, ob die Betroffenen überhaupt eine Wiederbelebung wünschen. Angehörige, die darüber Kenntnis haben, denken in der Notfallsituation oft nicht daran, die Rettungsdienste zu informieren, oder versuchen sich nach telefonischer Anleitung selbst mit einer kardiopulmonalen Wiederbelebung (CPR). Dies versteht der eintreffende Rettungsdienst dann oft als Hinweis, dass die CPR nicht dem Patientenwillen widerspricht. Zu diesem Schluss kommt eine Analyse von Rettungsdienstprotokollen aus Mittelhessen.

Ein Team um den Notfallsanitäter Dennis Rupp vom DRK Rettungsdienst Mittelhessen in Marburg hat Protokolle zu knapp 1500 Wiederbelebungsversuchen durch seinen Rettungsdienst in der Region analysiert. Im Schnitt waren die Betroffenen mit Herzstillstand 70 Jahre alt, der Männeranteil betrug 68%, die Auswertung bezog sich auf die Jahre 2016 bis 2022. In etwa 18% der Fälle wurde das Rettungsteam mit einer Do-Not-Resuscitate-Verfügung (DNR) konfrontiert. Wie erwartet, waren die Personen mit bekannter DNR-Verfügung deutlich älter als solche ohne (80 versus 68 Jahre) und befanden sich in schlechterer gesundheitlicher Verfassung: Ihr ASA-Status erreichte häufiger einen Wert von IV oder V (15% versus 6%).

Angehörige und Zeugen hatten versucht, etwas mehr als die Hälfte der Betroffenen wiederzubeleben, die Rate war in den Gruppen mit und ohne DNR-Verfügung praktisch identisch. Die DNR-Verfügung hatte folglich auf die CPR durch Außenstehende keinen Einfluss.

Im Schnitt dauerte die CPR 16 Minuten in der Gruppe mit sowie 21 Minuten in der ohne DNR-Verfügung, die Dauer hing weitgehend vom ASA-Status ab, am längsten wurde bei ASA I ohne DNR-Verfügung wiederbelebt (33 Minuten).

Mehr als die Hälfte der älteren Menschen mit Patientenverfügung

Bei 21% mit sowie 48% ohne DNR-Verfügung erzielten die Rettungskräfte wieder einen Spontankreislauf, jeweils 8% und 39% erreichten mit Spontankreislauf eine Klinik. Von diesen konnten später vier (18%) und 47% lebend entlassen werden, wobei alle vier Überlebenden mit DNR-Verfügung ein gutes neurologisches Ergebnis aufwiesen, ebenso 61% der 159 Überlebenden ohne DNR-Verfügung.

Dem Team um Rupp gibt zu denken, dass nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach aus dem Jahr 2014 etwa die Hälfte der über 60-Jährigen eine Patientenverfügung besitzt, und dieser Anteil dürfte seither eher noch zugenommen haben. Wenn also nur bei jedem Sechsten mit außerklinischem Herzstillstand eine DNR-Verfügung präsentiert werde, bedeute dies, dass die Rettungsteams entweder nicht danach fragten oder sich die Angehörigen in der Notsituation nicht daran erinnerten. In den Rettungsdienstprotokollen war bei knapp 11% der Betroffenen mit DNR-Verfügung explizit dokumentiert worden, dass die anwesenden Angehörigen nicht willens oder aufgrund der Stresssituation nicht fähig waren, die Rettungskräfte rechtzeitig über die DNR-Verfügung zu informieren.

Den Protokollen zufolge drang die Kenntnis über eine DNR-Verfügung zudem oft erst durch, nachdem die Rettungskräfte eine Atemwegssicherung und Adrenalininjektion veranlasst hatten. Rupp und Mitarbeitende sehen darin eine gewisse Erst-retten-dann-fragen-Einstellung, die auch der Stresssituation geschuldet sei, in der sich die Rettungskräfte bei Personen mit Herzstillstand befänden. Zudem seien manche DNR-Verfügungen so unklar formuliert, dass sich die Rettungskräfte im Zweifel doch für eine CPR entschieden. Immerhin werde bei sehr alten Personen häufiger nach einer DNR-Verfügung gefragt als bei jüngeren.

Quelle: SpringerMedizin.de

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